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Becker, Jurek

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* 30. 9. 1937 in Łódź
† 14. 3. 1997 in Berlin


Der Sohn eines jüd. Angestellten wuchs im 1939 errichteten Ghetto seiner Heimatstadt sowie in den KZs Ravensbrück und Sachsenhausen auf. Ab 1945 lebte er in Ost-Berlin, wo er nach einem Philosophiestudium (1957–60) als freier Schriftsteller für Film und TV arbeitete. 1969 erschien sein erster, in mehrere Sprachen übersetzter Roman: Jakob der Lügner (Heinrich-Mann-Preis der DDR 1971). Irreführung der Behörden (1973) schildert die in Anpassung mündende Laufbahn eines Schriftstellers, Der Boxer (1976) die Versuche eines ehemaligen KZ-Häftlings, sich in West-, dann in Ost-Berlin eine Existenz aufzubauen. 1976 beteiligte sich Becker (Nationalpreisträger der DDR 1975) am Protest gegen die Ausbürgerung Biermanns, wurde aus der SED ausgeschlossen und erhielt 1977 ein Ausreisevisum (1979 auf zehn Jahre verlängert). Nach Gastprofessuren in den USA und in Essen ließ sich Becker 1977 in West-Berlin nieder. Im Roman Aller Welt Freund (1982) verarbeitete er Erfahrungen nach der Übersiedlung. Als Drehbuchautor schuf er für die TV-Serie Liebling Kreuzberg (1986) die Figur eines unkonventionellen Berliner Anwalts. Von einer durch die dt. Einheit geschädigten DDR-Familie handelt die TV-Satire Wir sind auch nur ein Volk (1994). Seine Frankfurter Poetik-Vorlesungen sind eine Warnung vor dem Schriftsteller (1990). Die Slg. Ende des Größenwahns (1996) enthält Aufsätze und Vorträge (1971–95).

Jakob der Lügner. Roman, V 1969, Verf DDR / ČSSR 1974 Frank Beyer, USA 1999 Peter Kassovitz.
Der Ich-Erzähler wurde aus dem jüd. Ghetto einer poln. Stadt (Łódź) in ein Vernichtungslager geschafft. Dabei hat ihm Jakob Heym seine Geschichte anvertraut. Sie spielt 1944. Der alte Heym erfährt durch Zufall im „Revier“ der Ghetto-Bewacher, dass die Rote Armee bis zu einem ca. 400 km entfernten Ort vorgerückt ist. Er verfügt nun im Ghetto, das von der Außenwelt isoliert ist, über ein Wissen, das den Lebenswillen zu erhalten vermag. Um glaubhaft zu sein, muss Heym den heimlichen Besitz eines Radios fingieren, ebenso die jeweils neuesten Nachrichten über den Vormarsch der Befreier. Der Blick des Erzählers richtet sich auf einzelne Leidensgefährten und ihren Umgang mit Heyms „Lügen“. Sie sind human angesichts der Unmenschlichkeit. Problembereiche bilden das Verhältnis fiktionaler Literatur zum Holocaust sowie der Humor in der jüd. Erzähltradition.

Bronsteins Kinder.Roman, V 1986, Verf B. D. 1990/91 Jerzy Kawalerowicz.
Der Bericht des 18-jährigen Ich-Erzählers Hans Bronstein handelt in der Gegenwart (1974) und im Jahr zuvor, in dem sein Vater Arno gestorben ist. Rückblenden beleuchten die Geschichte der jüd. Familie Bronstein. Die Tochter Elle war im Krieg bei Bauern versteckt und ist seitdem psychisch krank. Hans, ein Kind der Nachkriegsgeneration, wuchs in Ost-Berlin beim verwitweten Vater auf. Als Erzählender versucht Hans sich von seinen Erinnerungen ein „möglichst genaues Bild“ zu machen. Ein Anlass ist die Entdeckung, dass der Vater mit zwei weiteren Überlebenden der Lagerhaft einen KZ-Aufseher entführt hat, um ihn zum Geständnis seiner Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu zwingen. Als Hans den Gefangenen befreien will, findet er den toten Vater als Opfer seiner Selbstjustiz. Zentrales Thema ist das Jude-Sein von Deutschen nach dem Holocaust im Spiegel eines Vater-Sohn-Konflikts.


Quelle: Ernst Klett Verlag GmbH
Ort: Stuttgart
Quellendatum: 2009